HÜHNER IN DER TIERGESTÜTZTEN ARBEIT & THERAPIE

Hühner werden oft unterschätzt hinsichtlich ihrer Rolle und Bedeutung für uns Menschen. Viele kennen sie gar nicht persönlich, haben bestenfalls verschwommene Erinnerungen an gackerndes Federvieh von einem Urlaub am Bauernhof aus Kindheitstagen, aber selbst diese Erinnerungen und Erlebnisse werden in unserer modernen Welt immer seltener gemacht. Bei der Arbeit mit älteren Menschen setzen wir genau hier an, in der Erlebniswelt von damals. Als man jung war, Hühner versorgte und die Eier einsammelte. Für demenziell veränderte Menschen bedeuten diese Erinnerungen sehr viel. Noch lange nachdem die kognitiven Fähigkeiten zunehmend weniger werden, bleiben diese Empfindungen abrufbar und durch vertraute Tiere wie Hühner wieder erlebbar, spürbar. Der Duft, das Gefieder, die Geräusche der Hühner – all das ist vertraut. Hier sind Hühner die Brücken, die uns helfen, zu Menschen wieder Zugang zu finden, deren Alltag von Einsamkeit und Isolation geprägt ist. Die Hühner als lebhafte Begleiter, die zu Austausch anregen, zum Gespräch auffordern, die man füttern und liebkosen kann. Die mit ihrem Gackern bezaubern und auffordern. Doch das ist nur die eine Seite der tiergestützten Arbeit mit Hühnern. 

Die andere Seite ist unsere Arbeit mit behinderten Klienten, hier sind sie oft der magische Schlüssel. Nach den Hühnerstunden, in denen mit den klugen Hennen getrickst, einfach zusammen entspannt oder auch nur beobachtet wird, geschehen oft großartige Fortschritte. Als würde sich eine neue Türe öffnen. 

Warum ist das so und vor allem warum gerade mit und beim Einsatz von Hühnern?

Ein Grund liegt in dem mittlerweile bestehenden Exotenstatus, den nicht nur Hühner, sondern Nutztiere generell, mittlerweile in unseren Breiten haben. Sah und begegnete man den Tieren früher im Alltag ganz selbstverständlich, sind geschäftige Hühnerscharen mittlerweile selten geworden. In der herkömmlichen Eiindustrie werden sie zusätzlich gerne aus gutem Grund hinter verschlossenen Stalltüren gehalten. Naturnahe Kontakte finden immer weniger statt. Die Naturentfremdung hinterlässt Spuren: Junge Menschen, die spät oder auch gar nicht in Kontakt mit Tieren treten konnten in der wichtigen Phase ihres Heranwachsens, entwickeln in der Regel kein oder nur wenig Interesse am Erhalt von Natur und Tieren im späteren Erwachsenenalter. Wenn Kinder Hühnern begegnen, herrscht jedoch meist Begeisterung vor. Die Lautsprache, das spannende Verhalten zu deuten, Signale einzuordnen, das erfordert Aufmerksamkeit, Verständnis und Empathie –  wichtige Attribute für unser eigenes Sozialleben. 

Und was ist mit dem Hahn?

Gerade im pädagogischen Bereich mangelt es häufig an positiven männlichen Rollenbildern. BetreuerInnen sind in diesem Berufsfeld in den meisten Fällen weiblich. Gerade für Buben und junge Männer sind aber männliche Vorbilder wichtig. Nette Hähne, die ihre Hennen charmant führen, sie behüten und ihnen den Vorrang bei Leckerbissen lassen, sind geeignete Partner in der tiergestützten Arbeit. 

Hühner selbst ausbrüten  – ein Trend oder ein fragwürdiges pädagogisches Projekt?

Es ist durchaus nachvollziehbar, warum in Schulen und Kindergärten Projekte boomen, um die Entwicklung vom befruchteten Ei bis zum Schlupf hautnah zu erleben und zu verfolgen. Das Wunderwerk Ei lädt zum Staunen ein, ebenso die Küken, die bereits im Ei miteinander kommunizieren und die beim Schlupf bereits fertig entwickelt sind, um die neue Welt zu entdecken. Die Vorfreude auf das Geschehen, das Beobachten und letztlich das Versorgen der Tiere wird als Begründung genannt, solche Projektwochen ins Leben zu rufen. Es gibt dabei aber einen Haken, eigentlich sogar zwei. Zum einen werden in der Regel mindestens die Hälfte der geschlüpften Küken als Hähne das Licht der Welt erblicken. Doch die Vermittlung von Hähnen gestaltet sich leider sehr schwer bis nahezu unmöglich. In den seltensten Fällen sind Abnehmer bereits im Vorfeld gesichert. Wer sich noch dazu einen schlachtfreien Lebensplatz für die Brut erträumt, wird meist enttäuscht.  Haken 2: eine Kunstbrut, also das Ausbrüten der Küken im Inkubator, ist nicht zu vergleichen mit der Aufzucht durch eine Henne. Glucken sind in der Regel großartige Mütter, die Kleinen lernen Gefahren und Umwelt durch sie kennen, werden von ihnen beschützt und rührend unter ihr Gefieder genommen, wenn sie Schutz suchen. Die Fehlprägung, die durch eine Kunstbrut entsteht, ist vor allem bei Hähnen in späterer Folge oft ein echtes Problem.

Gefiederte BotschafterInnen – was können wir mit der tiergestützten Arbeit mit Hühnern vermitteln und erreichen?

Zum einen ist der Tierschutzaspekt ein wichtiges Thema. Gerade in der Arbeit mit Kindern werden die Weichen für späteres Konsumverhalten gesetzt. Hühner sind unglaublich klug und können (fast) alles lernen – von Glocke läuten bis Parcours laufen oder auf den Arm flattern – und sie sind gerne für das eine oder andere Kunststück zu haben. Sie sind höchst spannend zu beobachten, neben ihnen im Gras zu verweilen und ihnen beim Picken, Sandbaden oder Körner suchen zuzusehen wirkt enorm entspannend. Entspannung und wohlige Momente fördern wiederum unsere Gesundheit. Ein hoher Blutdruck darf sich im Beisein der Hühnerschar normalisieren, Sorgen und schwere Gedanken machen Pause, wenn wir mit Tieren zusammen sind, die ganz im Hier und Jetzt leben. Und Hühner fühlen sich wundervoll an, wenn sie es einem erlauben, sie zu berühren. Der respektvolle Umgang ist auch hier essentiell, einfach anfassen ist nicht erlaubt. Hühner geben hier auch ganz klar und direkt Feedback. Berührungen sind erlaubt, wenn sie genossen werden. Ganz ähnlich wie bei uns Menschen. Die Botschaften, die Hühner für uns haben, sind also mannigfaltig – es ist Zeit, dass wir ihnen zuhören. 

Andrea Wiesner ist DGKS, Leiterin des Lehrgangs für tiergestützte Arbeit am WIFI Wien und Gründerin der Akademie Tiergestützt. Sie veranstaltet Workshops und Seminare für tiergestützte Arbeit (unter anderem mit Hühnern).  Sie bietet außerdem Trickkurse für Hühner & ihre HalterInnen an.

www.akademie-tiergestuetzt.com