Sex ist im 21. Jahrhundert allgegenwärtig, in der Werbung und in den Medien. Das Motto „Sex sells” manifestiert sich an Plakatwänden, in den Zeitungen, im TV, im Kino und nicht zuletzt in der Mode. Zu sehen sind junge, vitale Menschen, die mithilfe ihrer Jugend und makellosen Schönheit in verführerischen Posen verschiedenste (Luxus-)Produkte oder Dienstleistungen an die potenzielle Kundschaft bringen wollen. Die „Sexuelle Revolution”, ausgelöst von Sigmund Freud, der im Jahr 1900 mit der Psychoanalyse dazu beige-tragen hat, dass die Sexualität langsam enttabuisiert wurde, hat uns ab der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts eine Aufklärungswelle beschert. Doch wie aufgeklärt und wie frei sind wir heute wirklich? Von BonaDea

Mythos der „Exklusivität”
Als Jugendlicher erlebt man an sich selbst die ersten zarten sexuellen Gefühle, Gedanken an die elterliche Sexualität kommen erst gar nicht auf. Später, in den Zwanzigern meint man, das Exklusivrecht auf ein erfülltes Sexualleben zu besitzen! In den Dreißigern hat man Übung und Erfahrung, mit sich selbst und anderen, kennt die körperlichen Bedürfnisse. Weiblein und Männlein fühlen sich gleichermaßen am Zenit des Sexuallebens, man hat die Kopulation an sich erfunden! Aber Sex jenseits des 40. Geburtstages? Unvorstellbar! Man könnte es Unerfahrenheit oder jugendlichen Leichtsinn nennen, würde man sich als Frau in den Vierzigern nicht bei ähnlichen Gedanken beim Stichwort „Pensions-Sex” erwischen. Traut man den Männern jenseits der Midlifecrisis – meist in Verbindung mit einer jüngeren Frau – noch eine gewisse Sexualität zu, scheinen manche Herren der Schöpfung dem Irrglauben zu erliegen, dass sich bei Frauen, die die Wechseljahre bereits hinter sich haben, sexuell nichts mehr tut. Ja sogar Frau selbst schiebt die imaginäre zeitliche Grenze des eigenen Liebeslebens kontinuierlich vor sich her und vor allem in die ferne Zukunft. Bis heute scheint dieses Thema ein Tabu zu sein. Über Sex im Alter spricht man nicht. Das bestAGE Magazin hat es trotzdem getan.

Mythos „Sex als Jungbrunnen”
Eine im US-Magazin „Journal of Health and Social Behavior” (Hui Liu / Michigan State University (2016)) veröffentlichte Langzeitstudie nahm die gesundheitlichen Auswirkungen von „Sex im Alter” genauer unter die Lupe und beobachtete die Entwicklung von rund 2.200 Probanden. Die Frauen und Männer im Alter von 57 bis 85 Jahren wurden über einen Zeitraum von fünf Jahren aufgefordert, über ihr Sexualleben penibel Buch zu führen, inklusive Bewertung der Intensität und des Befriedigungsgrades. Das Ergebnis unter Berücksichtigung medizinischer Checks zu Beginn und Ende der Studie lässt aufhorchen. Die Schäferstündchen im fortgeschrittenen Alter halten gesund, den Kreislauf in Schwung und die Muskeln in sanftem Training – allerdings nur die Damen. Die Herren sollten sich in Zurückhaltung üben. Ältere Männer, die einmal pro Woche oder häufiger Sex haben, sind fast dem doppelten Risiko Herz-Kreislauf-Probleme zu bekommen ausgesetzt, wie sexuell inaktive Männer ihres Alters. Wurde der Sex als besonders befriedigend empfunden, ist das Risiko Bluthochdruck, Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden höher als bei weniger aufregendem Sex. Für das Herz-Kreislauf-System älterer Frauen dagegen hat Sex ausschließlich Vorteile: Frauen, die regelmäßig befriedigenden Geschlechtsverkehr hatten, wiesen dabei ein geringeres Risiko auf.

Mythos „Emanzipation”
Unternehmerin Gerlinde ist 69 Jahre alt, hat zwei erwachsene Kinder und einen Ex-Mann, mit dem sie seit der Trennung vor rund dreißig Jahren ein amikales Verhältnis pflegt. Sie verkörpert das Sinnbild der emanzipierten Frau von heute, die weiß, was sie will. Sie ist unabhängig, hat ein soziales Umfeld, das so manch Jüngere vor Neid erblassen lässt. Die zierliche und attraktive Fast-Siebzigerin hatte das letzte Mal Sex als sie fünfzig war. Zwanzig Jahre „Durststrecke” also. „Frauen in den besten Jahren haben es nicht mehr leicht. Die Lust ist vorhanden, das Angebot jedoch lässt zu wünschen übrig. Männer in meinem Alter haben entweder ausschließlich Augen für wesentlich jüngere oder einfach Angst vor selbstständigen und reifen Exemplaren wie ich es bin”, erzählt sie und führt weiter aus: „Als ich etwa sechzig war, lernte ich auf einer Reise einen Mann kennen. Wir hatten einen wunderbaren Nachmittag miteinander verbracht bis wir wieder getrennter Wege gingen. Es war wie ein Blitzschlag aus heiterem Himmel als er nach einigen Wochen plötzlich bei mir im Geschäft stand. Er sah sich um und gab mir Tipps für mein Geschäft – im Hinblick auf meine verbleibenden Jahre bis zur Pension. Ich weiß, ich wirke jünger, er schätzte mich also auf runde Vierzig. Als ich ihm verriet, dass ich bereits Sechzig bin, blieb ihm im wahrsten Sinn die Luft weg – er selbst war 58. Er sagte noch, er müsse jetzt gehen und verschwand auf nimmer Wiedersehen! Es hängt wohl mit meiner Selbstständigkeit zusammen. Männer meiner Generation, die mein Interesse wecken könnten, sind rar gesät. Viele verspüren Unbehagen im Umgang mit gleichaltrigen Frauen, manche sind einsam und beginnen zu trinken. Ich will Spaß und Zärtlichkeit in meinem Leben verspüren, nichts weiter”, schließt Gerlinde mit einem weisen Lächeln um die Augen.

Mythos „Kein Sex im Alter”
Ein Ehepaar in Pension, sie ist 67, er 65, erzählt im Gegensatz zu Gerlinde eine völlig andere Geschichte. Beide sind sie sexuell noch sehr aktiv und „vor allem aufgeschlossen”, wie sie schmunzelnd verraten, ins Detail gehen möchten sie nicht. Außer: „Wir waren auf Kur und lernten dort ein Pärchen kennen. Wir unterhielten uns beim abendlichen Kartenspiel stundenlang. Nach ein paar Tagen fragten sie uns, ob wir sie nicht in ihrem Appartement besuchen kommen möchten – in der Nacht. Wir lehnten dankend ab und verabschiedeten uns. Wir sind glücklich miteinander und brauchen keinen Dritten oder gar Vierten. Die Zeit, die uns bleibt, genießen wir in Zweisamkeit.”

Mythos vom „Alternden Mann”
Karl ist mit seinen 53 in den besten Jahren wie er unumwunden zugibt. „Ich denke ständig an Sex. Früher war’s noch schlimmer, da hatte ich nichts anderes im Kopf. Natürlich ist es rein körperlich nicht mehr das gleiche wie vor dreißig Jahren, die jugendliche Energie lässt nach. Aber es verändert sich die Wertigkeit des Sexuallebens. Früher war die ‘Eroberung’ wichtig, heute lebe ich mit meiner Partnerin, die ich abgöttisch liebe. Wenn ich an Sex denke, habe ich sie im Kopf. Sie ist rund zehn Jahre jünger und kann meinem ‘Tatendrang’ nur selten widerstehen”, grinst er schelmisch.

Mythos „Aufgeklärte Gesellschaft”
Viele Mythen ranken sich um das Thema „Sex im Alter”, jeder lernt auf seine eigene Art und Weise mit seiner Sexualität im Laufe der Jahre umzugehen. So aufgeklärt wir auch sind, manche Fragen lassen sich nur durch eigene Lebenserfahrung – und viel Kommunikation – klären. Fakt ist, es fehlen die jugendlichen Störfaktoren wie Stress im Beruf, im Alter lässt es sich einfach entspannt(er) lieben. Es fallen, zumindest bei Frauen, die Verhütungssorgen weg, die Kinder sind aus dem Haus. Körperlichen Einschränkungen kann man mit bewusst gesunder Ernährung, Bewegung an frischer Luft und einer guten Portion Humor entgegenwirken. Der Hausarzt und die Apotheke können bei vielen Fragen weiterhelfen.

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