Abraham soll 175 Jahre alt geworden sein, das ist biblisch überliefert. „Und er starb – alt und lebenssatt“, steht geschrieben. In seinem Buch „Das Abraham Prinzip“ widmet sich der 75-jährige Zukunftswissenschaftler, Berater für Wirtschaft & Politik und Autor Horst W. Opaschowski der Frage, wie man nach Abrahams Vorbild nicht nur alt, sondern dabei auch glücklich wird.

Okay zugegeben, 175 Jahre alt wird vielleicht niemand von uns werden. Aber dennoch wird unsere Gesellschaft immer älter. Der demografische Wandel spricht eine eindeutige Sprache: Eine Altersrevolution kommt auf uns zu. Die Bevölkerung altert dramatisch. Innerhalb der letzten 100 Jahre hat sich unsere Lebenserwartung von vierzig auf achtzig Jahre verdoppelt. Ein Ende der Entwicklung ist definitiv nicht absehbar. Jedes Jahr nimmt unsere Lebenserwartung um zwei bis drei Monate zu.

Außerdem kommen die „Grauen Giganten“ schreibt Opaschowski und meint damit die neuen „Centenarians“ – alle jene Menschen, die über 100 Jahre alt sind. Gab es im Jahr 1965 nur zirka 225 Hundertjährige in Deutschland, so wird von den heute geborenen Deutschen, in 100 Jahren immer noch die Hälfte am Leben sein.

Aus diesem Grund muss sich die Gesellschaft umstellen, betont Opaschowski. Denn wenn sich die Altersforschung zur „Langlebigkeitsforschung“ wandelt, so wird auch die präzise Definition von „jung“ und „alt“ immer schwieriger. So entwickeln sich nach Opaschowskis Meinung aus dem dritten Lebensalter neue Altersgruppen: Jungsenioren, Senioren und Langlebige.

Die Menschen haben zwar keine Angst vor dem Älterwerden, aber „Lust auf Alter“ oder gar auf „Langlebigkeit“ sieht ebenfalls anders aus. Die große Sorge ist der mögliche Verlust an Lebensqualität in den letzten Lebensjahren. Schon in der Mitte des Lebens machen sich viele Menschen Gedanken über die zweite Lebenshälfte. Die wichtigste Erwartung lautet: endlich Muße. Hier wird sich ein starkes Bedürfnis nach Erholung und Entspannung sichtbar – nach dem offensichtlich immer belastender werdenden Berufsleben. Was sie nachher konkret mit dieser Zeit anfangen wollen, darüber machen sie sich vorher wenig Gedanken. Sie haben nur den Vorsatz, sich zu bemühen, ihr Leben möglichst sinnvoll zu gestalten.

Langlebigkeit ist aber nur gut, wenn auch die Lebensqualität gut ist. Nur wer lange lebenshungrig bleibt, wird sich nach dem Abraham-Prinzip am Ende des Lebens „alt und lebenssatt“ – also zufrieden – von der Bühne des Lebens verabschieden können. Aber wie kann sicherstellen, dass ein langes Leben auch ein gutes Leben wird – materiell und mental, physisch und sozial? Laut Opaschowski ist der Schlüssel für ein gutes, langes Leben, bescheiden in den Ansprüchen, beständig in der Sorge für andere und beschäftigt rund um die Uhr zu sein.

Da wir bereits festgestellt haben, dass jeder Mensch eine gute Chance auf ein langes Leben hat, lohnt es sich in dieses lange Leben in jeder möglichen Weise (geistig, physisch, psychisch, sozial) zu investieren. Denn nur so können wir unsere Lebensqualität bis ins hohe Alter auf gutem Niveau halten. Immerhin bedeutet der demografische Wandel auch, dass das Leben im Alter immer lebenswerter wird.

EINE FRAGE DER EINSTELLUNG
Man sollte das Älterwerden als Herausforderung sehen und seine Zukunftschancen zu nützen wissen. Denn auch wenn das Leben nicht immer traumhaft ist, muss man zumindest immer noch träumen können, sonst verschläft man sein Leben und wird vorzeitig altern. Altersträume wirken wie ein Lebenselixier, denn solange wir uns eine gute Zukunft ausmalen können, ist unser Lebenswille ungebrochen. Eine lebensbejahende Einstellung ist laut Opaschowski ein Garant für Lebensqualität und Zufriedenheit bis ins hohe Alter. Vitalität, Lebenslust und Optimismus halten die Menschen länger gesund. Wer gut zu leben versteht und positiv zum Älterwerden steht, wird angeblich siebeneinhalb Jahre älter als alle jene, die mit Altersängsten leben.

DEN GEIST NICHT AUFGEBEN
Die Generation 65plus macht gut 40 Prozent der Gasthörer an den Universitäten aus. Zusätzlich melden Volkshochschulen, dass rund 700.000 Kurse für Gesundheit, Sprachen und Computer von Senioren belegt werden. Altersweisheit? Nein, danke! Die meisten Menschen wollen lieber jung im Kopf bleiben. Denn das heißt geistig nicht stehen, sondern in Bewegung zu bleiben. Als der spanische Cellist Pablo Casals zum Beispiel einmal gefragt wurde, warum er als 92-Jähriger immer noch täglich Cello übe, antwortete er: „Ich glaube, ich mache Fortschritte.“ Geistige Gesundheit und mentale Fitness werden in Zukunft zu neuen Lern- und Lebenszielen.

WOHLFÜHLEN IN DER EIGENEN HAUT
Gesünder älter werden: Das ist beides zugleich – Wunsch und Wirklichkeit. „Healthy Aging“ bedeutet, dass wir länger beschwerdefrei leben können. Die Gesundheit stellt den wichtigsten Wert im Leben dar und bekommt in Zukunft fast schon Religionscharakter.

Aber Gesundheit bedeutet mehr als körperliche Fitness: Es bedeutet sich in der eigenen Haut wohl zu fühlen. Daher ist klar: Jeder muss ein Leben lang noch mehr für die eigene Gesundheit tun, um körperlich, seelisch und sozial fit bleiben. Denn nur wer aktiv lebt, kann seine Altersträume auch verwirklichen.

Heute fühlen sich immerhin 82% der 65- bis 69-Jährigen gesund und fit, und selbst bei den über 75-Jährigen sind es noch fast drei Viertel. Die Generation 65+ ist also eindeutig zu jung um alt zu sein. Die Bevölkerung an sich altert zwar, aber sie geht ganz offensichtlich noch lange nicht am Stock, denn die neue Generation der Senioren ist gesünder und fitter als je zuvor.

Somit wird auch anstatt der Krankheitsbekämpfung die Frage der Gesundheitserhaltung immer wichtiger. Gute Lebensgewohnheiten und nicht Medikamente sorgen für Wohlbefinden bis ins hohe Alter.

AUF NUMMER SICHER GEHEN
Auch die finanzielle Absicherung ist wichtig. Dadurch, dass immer weniger Beschäftigte immer mehr Pensionisten zu versorgen haben, stößt der Generationenvertrag an seine Grenzen. Darum wird die private Zukunftsvorsorge immer wichtiger. Auch wird laut Opaschowski der flexible Ruhestand zum Zuge kommen. Gemeint ist damit eine abgestufte Pensionierungszeit mit eigenverantwortlicher Wahlmöglichkeit und flexibler Altersgrenze. Das heißt jeder soll selbst entscheiden können, wann er es sich leisten kann und auch wann er Lust dazu hat, in Pension zu gehen.

BEZIEHUNGSREICHTUM
Wer eine gute Beziehung zu seiner Familie hat, fühlt sich wohlhabender als der, der nur über Eigentum verfügt. Die Sehnsucht nach Stabilität, Sicherheit, Geborgenheit und Zusammengehörigkeit wächst, meint Opaschowski, und somit werden langfristige Bindungen, Ehen, Kinder und Familien wieder in.

Bemerkenswert ist, dass Ehen heutzutage so lange halten wie noch nie zuvor. Auch das ist der höheren Lebenserwartung geschuldet, denn „bis dass der Tod euch scheidet“ bedeutet heute oft weitaus länger als„nur“ 20 oder 30 Jahre.

Auch fällt auf, dass die Generationen näher beieinander wohnen. Etwas jeder Vierte über 50-Jährige wohnt sogar mit mindestens einem der Kinder unter einem Dach. Das Zusammenleben im selben Haus, aber in verschiedenen Haushalten wird immer beliebter.

Da die Familie und das soziale Umfeld ein wichtiger Faktor für ein gutes Leben sind, muss man also stets Engagement und Arbeit in die Pflege von persönlichen Beziehungen und Bindungen stecken. Wer keine eigene Familie hat, setzt auf Freunde und Bekannte und schafft sich so eine Wahlverwandtschaft.

ZUSAMMENHALT MIT ZUKUNFT
Ein weiterer großer Punkt den Opaschowski anspricht, sind die Generationenbeziehungen. Der demografische Wandel und unsichere Krisenzeiten sorgen dafür, dass die Generationen untereinander mehr zusammenhalten. Ältere Menschen kümmern sich vermehrt um Kinder und Enkelkinder und werden im Gegenzug ebenfalls umsorgt. So wird ein Altwerden im Familienverband ermöglicht. In Zukunft wird man vermehrt auf bescheidenere Wohnmöglichkeiten mit sozialer Lebensqualität setzen, als auf komfortables Wohnen in sozialer Isolation.

Außerdem werden Drei- bis Vier-Generationen-Familien immer häufiger. Denn in beinahe jeder Volksschulklasse gibt es Kinder, die „noch“ eine Ur-Großmutter haben. Aufgrund der höheren Lebenserwartung gibt es Großeltern-Eltern-Kind-Enkel-Beziehungen, die 40 oder 50 Jahre halten und sich gegenseitig stützen und helfen.

LEBEN IM ZEITWOHLSTAND
Hart ist für viele Menschen die neugewonnene Freiheit des Ruhestands. Aus der Befreiung des Arbeitszwangs wird die Aufforderung zur Gestaltung des eigenen Lebens und damit sind viele erst einmal überfordert. Zwei Übergangsphasen helfen hier weiter:

Phase 1: Flüchten. Ein oft bewährter Weg um mit der neuen Situation fertig zu werden, ist das Urlaubsspiel. Man stellt sich zu Beginn einfach vor, man wäre auf Urlaub. Ausschlafen, gemütlich frühstücken und Ausflüge oder ähnliche Tagesbeschäftigungen organisieren.

Phase 2: Strukturieren. Der scheinbar grenzenlosen Freiheit wird eine selbstgeschaffene Struktur verliehen, die man vielleicht bereits so ähnlich aus der Vergangenheit kennt und als angenehm empfindet. So wird ein durchgeplanter Tagesablauf erstellt. Diese Abläufe wiederum werden zu festen Ritualen, die dem Leben Stabilität und Sicherheit verleihen. Das Ziel ist ein Leben in Balance zwischen Familienorientierung und Unternehmungslust, Ausgehen und Ausschlafen, Reisen und Zur-Ruhe-Kommen.

SELBSTSTÄNDIGKEIT BIS INS HOHE ALTER
Vor dem Horrorszenario als Pflegefall in einem Heim zu enden, braucht man sich nicht zu fürchten, denn über 90% der 65- bis 79-Jährigen haben gar keinen Pflegebedarf. Selbst die überwiegende Mehrheit der über 90-Jährigen wohnt noch in ihren eigenen vier Wänden und ist mit ihrer Wohnsituation auch durchaus zufrieden. Die Zukunft wird vermehrt generationsübergreifende Wohnkonzepte, Baugemeinschaften und neue Wohngenossenschaften bringen. Bei den neuen Wohnkonzepten geht es auch um Alternativen zum traditionellen Altersheim. So wenig Heime wie möglich fordert Opaschowski und solange Selbstständigkeit wie möglich.

GEMEINSAM STATT EINSAM
Ein großes Problem der Generation 65+ kann die Vereinsamung sein. Mit offensiven Mitteln muss gegen das Gefühl des Alleine-Seins angegangen werden. Offenheit und die Verfolgung und Weiterentwicklung der eigenen Interessen, spielen dabei eine wichtige Rolle. Wer nicht alleine sein will, muss bereit sein, sein Schneckenhaus zu verlassen. Praktisch bedeutet das: Neue Menschen ansprechen, sich ansprechen lassen und längerfristig einen eigenen Freundes- und Bekanntenkreis aufbauen.

GEBRAUCHT WERDEN
Ein Job. Eine Familie. Ein Ehrenamt. Das ist die Sinneinheit für ein langes Leben. Und das heißt konkret: Gefordert sein. Gebraucht werden. Wichtig bleiben. Die Lebensarbeit ist auch nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben nicht vorbei. Man braucht auch weiterhin eine Aufgabe und einen Sinn im Leben. Besonders die Generationen 50+ hat ein extrem großes Engagementpotential und wird in Zukunft die größte Zahl der Ehrenamtlichen im sozialen Bereich ausmachen.

IN BEWEGUNG BLEIBEN
Aktivität stellt eine der wichtigsten Voraussetzungen für Lebenszufriedenheit im Alter dar, wobei Aktivität körperliche Betätigung genauso meint wie soziale Aktivität. Wer ein hohes Alter bei guter Gesundheit erreicht, hat meist auch während seines ganzen Lebens einen aktiven Lebensstil geführt. Statt befürchteter Alterslast heißt es jetzt eher: neues Potential von Interessen und Fähigkeiten entdecken und bloß nicht leiser treten.

WOHLERGEHEN FÜR ALLE
Zu guter Letzt brauchen wir im 21. Jahrhundert neue Maßstäbe für Lebensqualität. Gut leben statt viel haben – das ist die neue Leitlinie des Lebens. Individuelles Wohlergehen und privates Glück in Partnerschaft, Familie und Freundeskreis, eine berufliche Arbeit und genügend Zeit zum Leben und Erleben sorgen für Zufriedenheit. Eine Grundgeborgenheit sozusagen. Wohlfühlen und wissen, dass es einem gut geht. Nicht mehr und nicht weniger. Wer alles haben will und muss, der sollte sich danach fragen, was im Leben wirklich wichtig und wertvoll ist. In Zukunft kann Wohlstand auch bedeuten, weniger Güter zu besitzen und doch besser zu leben. Vor die Wahl gestellt, will man im Einzelfall doch lieber glücklich als reich sein, oder?

Buchbesprechung über das Buch:

„DAS ABRAHAM PRINZIP”
von Horst W. Opaschowski
Gütersloher Verlagshaus
ISBN: 978-3-579-08647-7